Geschichte der Abtreibung

Abtreibung und Menschenrechte

ca 1200 v. Chr. Laut biblischer Überlieferung verordnete das Gesetz Gottes für einen fahrlässigen Schwangerschaftsabbruch eine gleichberechtigte Vergeltung, die unabhängig davon war, ob die Schwangere oder das Kind geschädigt wurde, und unabhängig vom Alter des Kindes (2. Mose 21, 22-25):
Falls aber ein weiterer Schaden entsteht, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme.

ca 1000 v. Chr. Laut biblischer Überlieferung schrieb König David in Psalm 2,6:
‘Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt’.

ca 400 v. Chr. Der griechische medizinethische Eid des Hippokrates enthält die Formulierung:
‘Auch werde ich nie einer Frau ein Abtreibungsmittel geben.’

ca 400 v. Chr. Plato empfahl für einen „Idealstaat“ die Aussetzung von Kindern mit Geburtsfehlern

384 – 322 v. Chr. Der griechische Philosoph Aristóteles vertrat die Lehre einer allmählichen Menschwerdung (Sukzessiv-Beseelung). Die Leibesfrucht durchlaufe nach der Zeugung zuerst eine Phase von pflanzlichem Leben, dann eine animalistisch-sensitive Phase, und erst danach werde der Fetus mit einer ‘Vernunftseele’ ausgestattet. Bei der männlichen Frucht geschehe das am 40. Tag, bei der weiblichen erst am 90. Tag.
Diese Fristsetzung von 3 Monaten ist bis heute in der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch erhalten geblieben.

ca 300 v. Chr. Die Stoische Philosophie von Zenon von Kition ging davon aus, dass die Beseelung im Augenblick der Empfängnis geschehe.

ca 200 Der römische Jurist Papinian schrieb: ‘Eine noch nicht geborene Leibesfrucht ist kein richtiger Mensch’. Abtreibungen und die diesbezüglichen medizinischen Kenntnisse waren im antiken Rom weit verbreitet, einige Historiker sprechen sogar von einer „exzessiven Abtreibungspraxis“.

ca 1200 Die Lehre von Aristoteles (s.o.) fand im Mittelalter Eingang in das katholische Kirchenrecht. Dieses unterschied daraufhin zwischen dem ‘fetus animatus‘ und dem ‘fetus inanimatus’, also dem beseelten und dem unbeseelten Fötus. Die Abtreibung des unbeseelten Fötus sei demnach keine Tötung.
Papst Sixtus V. erklärte 1588 ab der Empfängnis die Abtreibung als verwerflich, und distanzierte sich von der Auffassung einer ‘Sukzessivbeseelung’, was jedoch in der Kirche noch längere Zeit umstritten blieb. Erst durch Pius IX wurde 1869 die Unterscheidung zwischen fetus animatus und fetus inanimatus final fallengelassen. Im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 war sie nicht mehr vorhanden.

1794 Allgemeines Preußisches Landrecht wurde von Friedrich Wilhelm II in Kraft gesetzt. Es galt bis 1900, und war eines der frühesten umfassenden Gesetzeswerke auf dem Kontinent. Die Tötung der Leibesfrucht wird unter Strafe gestellt:

§10 Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungebornen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängniß.
§11 Wer für schon geborne Kinder zu sorgen schuldig ist, der hat gleiche Pflichten in Ansehung der noch in Mutter Leibe befindlichen.

Ersten Theil, 1. Titel, §10 und §11

§ 985 Weibspersonen, welche sich eines Mittels bedienen, die Leibesfrucht abzutreiben,haben schon dadurch Zuchthausstrafe auf sechs Monathe bis Ein Jahr verwirkt.
§ 990 Ist die Abtreibung von einem Dritten ohne Wissen und Willen der Mutter veranstaltetworden: so hat der Thäter zehnjährige bis lebenswierige Festungsstrafe verwirkt.

Zweyten Theil, 20. Titel, §985 und §990

1858 Entscheidung des ‘Virginia Supreme Court’:
In den Augen des Gesetzes ist ein Sklave nicht eine Person.

Menschenwürde wurde schon vielen abgesprochen

1866 E. Haeckel stellte das ‘Biogenetische Grundgesetz‘ auf, das (ähnlich wie die Vorstellungen von Aristoteles) besagte, jedes Einzel-Lebewesen (so auch der Mensch) durchlaufe in seiner Früh-Entwicklung zusammengedrängt die gesamte Evolutionsgeschichte seiner Art. Damit entstünde bei der Zeugung noch kein echter Mensch, sondern nur tierartige Vorstufen, ein ‘werdender Mensch’. Aus einem amöbenartigen Einzeller entwickle sich zunächst eine Art Wurm, ein Fisch, ein Reptil, ein niederes Säugetier, ein Affe der erst mit der Geburt zum Menschen würde. Diese Theorie wurde lange Zeit als ein wesentlicher Beweis der Evolutionstheorie angesehen, fand Eingang in die biologische Lehrmeinung, und diente als Begründung für die Liberalisierung von Abtreibung in den folgenden Jahrzehnten.

1872 Das Abtreibungsverbot des Allgemeinen preußischen Landrechts (1794) wird übernommen in das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, §218 (siehe Fassung vom 1. Januar 1872–8. Juni 1926)

1881 American Law Review:
Ein Indianer ist keine Person im Sinne der Verfassung.

19. Jh. Sklaverei wurde verboten, (Amerika, Sezessionskrieg), und Sklaven wurden als vollwertige Menschen anerkannt. Freiheit und Lebensrecht des Sklaven überwiegen das Recht auf Eigentum und Selbstbestimmung des Herren.

1900 (ca.) Es wird vermehrt die Liberalisierung von Abtreibung gefordert, meist begründet mit dem ‘Biogenetischen Grundgesetz’ (s.o.). Noch ist Abtreibung in ganz Europa verboten.

1909 Englisches Gerichtsurteil zum Frauenwahlrecht (British Voting Rights case):
Der Status-Begriff ‘Person’ umfaßt unter diesen Umständen keine Frauen.

1920 Erstmalig für Europa wird im sozialistischen Sowjetrußland unter Lenin die straffreie und kostenfreie Abtreibung eingeführt. Nach der bolschewistischen Revolution setzte Lenin seine früheren Richtlinien um:  “Die bedingungslose Forderung, alle Gesetze, die die Abtreibung verbieten, abzuschaffen“. Stalin schränkte die Abtreibungslegalisierung ab 1936 wieder ein auf Lebensgefahr der Mutter und eugenische Indikation. 

1926 Die Sklaverei-Konvention wird in Genf von den Vereinten Nationen verabschiedet. Darin wird definiert: Sklaverei ist der Zustand oder die Stellung einer Person, an der die mit dem Eigentumsrechte verbundenen Befugnisse oder einzelne davon ausgeübt werden.

1935 Der zweite europäische Führer, der Abtreibung legalisierte, war Adolf Hitler im national-sozialistischen Deutschland. Um eine „überlegene Rasse“ zu schaffen, die ‘unbefleckt und biologisch stark’ war, legalisierte er Abtreibung zur ‘Verhütung der Geburt eines erbkranken Kindes’ sowie bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren. Das allgemeine Abtreibungsverbot von 1871 blieb ansonsten (zunächst) erhalten.

1936 Das Deutsche Verfassungsgericht weigert sich, Juden im rechtlichen Sinne als ‘Personen’ anzuerkennen.

1943 National-Sozialismus: Erhebliche Verschärfung der Strafandrohung bei Abtreibungen an Deutschen (‘arischen’ Kindern), Abtreibung bei Nicht-Deutschen wurde allerdings straffrei gestellt. Legalisierung der Abtreibung in den besetzten (osteuropäischen) Ländern, wo es auch zu Zwangsabtreibungen kam. 

1945 Juden werden durch Aliierte Siegermächte in Deutschland wieder unter den Schutz des Gesetzes gestellt, als vollwertige Menschen.

1948 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wird von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Darin besagt Artikel 2 ausdrücklich:
Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, .. der Geburt oder des sonstigen Status.
Unter Geburt ist hier (nach dem maßgeblichen Wortlaut) das Ende einer Schwangerschaft zu verstehen, und nicht ein ‘Geburts-Status’. Das Vorliegen einer Schwangerschaft ändert also nichts an den Rechten und Freiheiten für die Frau oder das Kind.

1951 Die Vereinten Nationen verabschiedeten das Übereinkommen zur Verhütung des Völkermordes. Eines der darin genannten Mittel zum Völkermord besteht in der ‘Verhinderung von Lebendgeburten’ (Artikel II d). In den Nürnberger Prozessen werden Nazis für Völkermord verurteilt, weil sie in Osteuropa Abtreibungen legalisierten, sowie wegen Zwangsabtreibungen an Osteuropäerinnen (GREIFELT et al, RuSHA-Trial, S. 9; 21; 54; 58f). 

1955 Sowjetunion: Das Abtreibungsverbot von 1936 wird wieder abgeschafft.

1959 Die Vollversammlung der Vereinten Nationen erkennt feierlich in einer Erklärung der Rechte des Kindes die ‘Menschenrechte aller Kinder, ohne Unterscheidung oder Diskriminierung, etwa nach .. Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen‘. In der Präambel steht:
‘da das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, einschließlich eines angemessenen rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt bedarf;’

1960 Widerlegung des ‘Biogenetischen Grundgesetzes‘ insbesondere durch Arbeiten des Humanembryologen Prof. Dr. Blechschmidt. Auch mikroskopische Untersuchungen der Ontogenese des Menschen zeigten keinerlei Anzeichen für eine Ähnlichkeit mit Tieren, es ergab sich kein Anhaltspunkt für eine Bestätigung des ‘Biogenetischen Grundgesetzes’. Die körperliche Entwicklung des Ungeborenen sei von Anfang an spezifisch menschlich.

1960 Fachgesellschaften der Frauenheilkunde in USA, GB, F, D verlegten den Beginn der Schwangerschaft vom Zeitpunkt der Befruchtung auf den der Nidation. Somit mussten Spirale und damalige Pille nicht als frühabtreibende Mittel bezeichnet werden.

1973 In den USA entscheidet der Supreme Court im Fall Roe v. Wade, dass die Bundesstaaten im 1. und 2. Trimester (bis zum 6. Monat) Abtreibung nicht verbieten dürften. Erst nach Erreichen der ‘Lebensfähigkeit’ des Kindes außerhalb der Gebärmutter habe das Kind ein eigenständiges Lebensrecht – falls nicht eine Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter bestehe.

1974 Deutschland: Abtreibung wird bis zum 3. Monat erlaubt, sogenannte ‘Fristenlösung’ (siehe Aristoteles, oben)

1976 Deutschland: die Fristenregelung (‘Fristenlösung’) wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 39,1). Anschließend wurde vom Bundestag das Indikationsmodell geschaffen (SPD/FDP-Koalition). Begriffsbestimmung durch §219d: Als Schwangerschaftsabbruch im Sinne des Gesetzes gelten nur Handlungen nach Vollendung der Einnistung des Kindes in der Gebärmutter..

1990 Deutschland: Das Embryonen-Schutzgesetz wird vom Bundestag verabschiedet. Es beinhaltet Regelungen zur Anwendung der künstlichen Befruchtung. Veränderung an menschlichem Erbgut, Leihmutterschaft und Forschung an / Handel mit überzähligen Embryonen verboten.

1993 Deutschland: Die Indikationsregelung wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 88, 203). Als Übergang wurde ein Beratungsmodell zugelassen und  vorgeschlagen, welches vom Bundestag anschließend relativ wörtlich zur neuen Regelung des §218 übernommen wurde. Vor der Einnistung in die Gebärmutter (ca am 13. Tag nach der Zeugung) liege keine ‘Schwangerschaft’ vor. Daher geht man davon aus, dass eine Frühabtreibung vor der Nidation durch entsprechende ‘Verhütungsmittel’ auch kein verbotener ‘Schwangerschaftsabbruch’ sei. Abtreibungen bis zur Geburt aufgrund einer drohenden Gesundheitsgefahr der Schwangeren, und die nicht ‘zumutbar’ anders abzuwenden seien, sind nicht rechtswidrig. Wird eine vorgeburtliche Schädigung des Kindes festgestellt, dann gilt das als eine drohende Gesundheitsgefahr für die Schwangere, die nicht anders als durch Abtreibung abwendbar, und daher legal sei.

1997 Kanada: Der ‘Canada Supreme Court’ entschied:
Das Gesetz von Canada erkennt das ungeborene Kind im rechtlichen Sinne nicht als Person mit eigenen Rechten an’. – Seither ist in Kanada Abtreibung bis zur Geburt erlaubt, wie auch in China, Nordkorea, Niederlande und Vietnam.

2019 Der UN-Menschenrechts Ausschuss (CCPR / HR Committee) behauptet in einem neuen Kommentar zum Recht auf Leben (Artikel 6 ICCPR, Chapter I Abs. 8), Staaten seien dazu verpflichtet, Abtreibung zu legalisieren, wenn das Austragen der Schwangerschaft für die Frau ‘erhebliche Schmerzen oder Leiden verursachen würde’. Eine zeitliche Grenze wird nicht genannt, und auch das Leben des ungeborenen Kindes oder seiner Rechte bleiben durchgängig unerwähnt. Über 100 zuvor von internationalen Staatsrechtlern, NGOs und Regierungen vorgebrachten Argumente und Einwände wurden komplett ignoriert (C-Fam: UN-Committee claims right to abortion , General Comment 36, Right to life, Art. 6 ICCPR vgl. IVUM Beitrag , 7 Forderungen). 

2020 Die ‘Genfer Konsenserklärung zur Förderung der Gesundheit von Frauen und zur Stärkung der Familie‘ (GCD) wird von 34 Ländern unterzeichnet. Darin wird u.a. bekräftigt, dass es kein internationales Menschenrecht auf Abtreibung gibt. Das Projekt wurde von den USA unter Donald Trump initiiert, doch kurz nach seinem Amtsantritt strich Joe Biden die USA wieder aus der Erklärung. Dennoch traten weitere Länder bei.

2011 Mit den San Jose Artikeln veröffentlichte eine Gruppe von Juristen und Menschenrechtsaktivisten, Gelehrte, gewählte Amtsträger, Diplomaten, Ärzte und Völkerrechtsexperten eine Erklärung, wonach die Menschwerdung mit der Empfängnis eine wissenschaftliche Erkenntnis sei, woraus der Anspruch auf Achtung der Menschenrechte gegeben sei. Ein ‘Recht auf Abtreibung’ sei in hingegen keinem einzigen Internationalen Vertrag enthalten, und UN-Ausschüsse hätten keinerlei Befugnis, neue Rechte zu definieren.

2020 Der US Supreme Court hob das Urteil Roe v. Wade wieder auf. Dadurch können die US-Bundesstaaten über die Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen entscheiden.

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